Weihrauch – Kerzenlicht – Orgelklang – heilige Stille – Gesang und Gebet. Ein Fest für die Sinne! Der Ritus einer Messfeier ist überall ähnlich und doch unterschiedlich wie ein Kochrezept. Mir scheint, der nachkonziliare römische Ritus hat viel von dem ursprünglichen Rezept – der Schatzkarte der Liturgie – verwässert. Das fiel mir zum ersten mal auf, als bei uns der syro-malibariarische Ritus mit den indischen Patres gefeiert wurde. Welche Ehrfurcht, welch würdige Liturgie! Ich wurde neugierig wie andere Riten auf mich wirken. Der orthodoxe Ritus dagegen war mir zunächst so fremd, wie ausländisches Essen, wo man nicht weiss, was da zubereitet wurde. Der alte tridentinische Ritus war mir dagegen sofort geheimnissvoll und doch vertraut zugleich. Doch jeder Ritus hat seine eigene Schatzkarte, die alle zum selben Schatz führen sollen: Gott zu besitzen. Die eine führt direkter hin, die andere führt auf anderen oder Umwegen. Sich über den besseren Ritus zu streiten kommt mir vor, wie über die bessere Karte oder das bessere Rezept zu streiten.  Und so, wie man beim Essen nicht nur nach dem Geschmack fragt, sondern auch, ob es satt gemacht hat, so ist nach einer Messfeier für mich die Frage, ob sie Nahrung für die Seele war, ob sie Hunger und Durst gestillt hat.

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Stell dir vor du hast ein altes Rezept in der Hand, ein Geheimrezept. Wir sind uns einig, dass das Original besser ist, als Abschriften, oder? Je ursprünglicher, desto besser! Doch mit den Jahren kann man die Schrift nicht mehr gut lesen und es werden Abschriften gemacht. Oder jemand hat andere Zutaten verwendet, die dem Original ähnlich sind. Seit 2000 Jahren wird das Liturgie-Geheimrezept überliefert, verändert, ergänzt. Heute ist das römische Ritus-Rezept für die meisten Christen verfügbar. Ich höre Stimmen die sagen, sie würden nicht mehr satt davon werden. Manche fragen sich, ob dieses Ritusrezept noch schmackhaft ist, machche fordern neue Zutaten und neue Rezepturen für moderne Geschmäcker.

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Doch Gottes Art uns zu sättigen finde ich nicht in äußeren Formen, sondern in spürbarer Kraft, in Licht für die Seele. Ist Gott gegenwärtig nehme ich einen Lebensstrom wahr.  Ist er fern, entsteht eine unerträgliche Leere und Schwere.  Gottesdienste nehme ich völlig unterschiedlich wahr: mal ist da Herrlichkeit, mal Unruhe, mal Kraft, mal Magenschmerzen. Ich habe mich gefragt, warum  das so ist. Dann habe ich folgende Beobachtungen dazu angestellt:  Erstens macht es den Eindruck, dass sich das Kraft- und Lichtverhältnis ändert, wenn die Priester tief im Gebet und im Leid geläuterte Männer sind. Dagegen sind manche Priester mit Alltag und Ablenkung überlastet und finden dann wenig Zeit für eine tiefe Beziehung zum HERRN was bei den Gottesdiensten zu spüren ist.  Zweitens trägt ebenso  eine Messfeier mit Betern, die eine tiefe Ehrfurcht vor Gott ausstrahlen enorme Kraft auf sich. Einmal war ich total berührt, als -bis auf einige wenige – alle kniend die Mundkommunion empfingen. Das strahlte so eine Ehrfurcht und Liebe aus, die mich erschaudern liess. Eine dritte Komponente ist der Ort, an dem gefeiert wird. Manche Gnadenorte oder Sakralräume waren schon bei der Ankunft von solchen Kraftströmen erfüllt, dass es ein leichtes war, diesen Lebensstrom aufzuspüren. Andere Orte waren eher neutral und füllten sich erst durch die Art und Weise der Feier mit Atmosphäre und wieder andere Räume strahlen eine Kälte aus, bei der ich nur schnell wieder weg wollte.

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Unverbildeten Kindern kann man die Atmosphäre richtiggehend ansehen: In manchen Gottesdiensten waren meine Kinder oft unruhig und nicht still zu kriegen, aber an Gnadenorten oder unter kraft- und lichtvollen Menschen waren sie kleine Lämmlein und das stundenlang. Eine Mutter eines Hyperaktiven Kindes erzählte mir, dass sie jede freie Minute nach Taizé zu dem Heiligmäßigen Frère Roger (bereits gestorben) fahre, bei dem ihr Sohn erstaunlicherweise zur Ruhe komme, indem er einfach nur neben ihm sitze. Das hat mir schwer zu denken gegeben. Sollte eine Gemeinde mit unruhigen Kindern nicht sich selbst ersteinmal hinterfragen und jede eigene innere Unruhe angehen bevor sie anfängt die Kinder und ihre Eltern zu verurteilen?!

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Die vierte Komponente ist unser eigener Zustand. Stille ist manchmal schwer auszuhalten. Kennst du das, wenn du versuchst still zu werden und die innere Unruhe alles übertönt? Der Lärm des Alltags und der unabgeklärten Situationen überschwemmt uns in Minuten wo nichts los ist. Die Lösung vieler Gemeinden ist permanent Gebet und Musik anzubieten. Stille scheint irgendwie peinlich und nicht erwünscht zu sein. Mir scheint: Wir müssen neu trainiert werden die Stille auszuhalten und die innere Wetterlage abregnen zu lassen, bis sich das Gemüt klärt und die göttliche Sonne wieder wahrnehmbar ist. Und wie?

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Eine wunderbare Möglichkeit sind gestaltete Anbetungen, in welcher konkret zur Stille angeleitet wird. Dieser geistige Schatz ersetzt manchen Arzt und Therapiebesuch. So können wir in unserer schnelllebigen, lauten Zeit wieder heilen und fähig gemacht werden die Stille in der Gegenwart Gottes wieder auszuhalten. Als eine andere „Therapie“ empfinde ich die alte tridentinische Messe. Sie ist in lateinischer Sprache und in meist heiliger Atmosphäre. Der Teilnehmer kann spüren: Hier geht es nicht um mich, um meine Probleme und Empfindlichkeiten, nicht darum, dass ich alles verstehe. Hier ist Gott Mittelpunkt des Geschehens. Ich bin mit hineingenommen in das Geheimnis der Menschwerdung Gottes. Da heisst es Verstand ausschalten und Herz anschalten, was gerade für uns verkopfte Deutsche eine echte Wohltat ist 🙂 Und wer es verstehen will, kann ja die Übersetzung mitlesen oder Latein lernen.

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Doch ich glaube, es geht im Letzten nicht um die Frage der Form oder des Ritus. Ich glaube, dass es eine Frage der Kraft und des Lichtes ist. Sie sind Zeugen der Gegenwart Gottes. Steht nicht in der Bibel, dass eine Zeit kommen wird, in der wir weder da noch dort, sondern in Wahrheit und im Geist anbeten werden?! Diese vielen Diskussionen um Form und Rechtgläubigkeit ermüden mich. Hätte Jesus so diskutiert? Ich höre ihn nicht darin. Ich spüre keine Kraft und kein seelisches Licht darin. Die Zeit wäre im Gebet füreinander und um Offenbarung SEINES Willens wohl besser genutzt. Das Bibelwort aus Jeremia erfrischt mich dagegen: „Denn das wird der Bund sein, den ich nach diesen Tagen mit dem Haus Israel schließe – Spruch des Herrn: Ich lege mein Gesetz in sie hinein und schreibe es auf ihr Herz. Ich werde ihr Gott sein und sie werden mein Volk sein. Keiner wird mehr den andern belehren, man wird nicht zueinander sagen: Erkennt den Herrn!, sondern sie alle, Klein und Groß, werden mich erkennen.“ (Jeremia 31,34) Die Kraft und Lichtmesslatte, bringt für alle gleich messbar ans Licht, was gottwohlgefällig und was wachstumsfördernd ist und was niederziehend, spaltend und kraftlos ist. Heisst es nicht „Prüft alles, behaltet das Gute“ und „an den Früchten werdet ihr es erkennen!“?!